KI als Katalysator für den Materialkreislauf 

Künstliche Intelligenz (KI) und Deep Learning revolutionieren die Recyclingbranche. Sie steigern nicht nur die Effizienz, sondern ermöglichen außerdem eine feinere Sortierung. Außerdem lassen sich ganz neue Anwendungen erschließen. Dr. Volker Rehrmann, EVP und Leiter von TOMRA Recycling, über das Potenzial von KI für unsere Branche.

Now possible, thanks to deep learning: sorting food-grade vs. non-food-grade PET, PP and HDPE 
Wir alle streben nach einer echten Kreislaufwirtschaft. Doch diese setzt voraus, dass die zurückgewonnenen Materialien eine gleichbleibend hohe Qualität aufweisen und so viele Materialien wie möglich wieder in den Kreislauf geführt werden. Das ist mit den heutigen Verfahren noch nicht möglich. Um Downcycling zugunsten der Verwendung hochwertiger Rezyklate zu vermeiden, muss die Sortierung granularer werden.    

Die gute Nachricht ist: KI macht das jetzt möglich. Mehr noch: KI wird sich zum Katalysator für den Materialkreislauf entwickeln. Solche fortschrittlichen Technologien verbessern die Sortierung und Klassifizierung von recycelbaren Materialien erheblich und tragen dazu bei, die steigende Nachfrage nach mehr recycelten Inhalten zu erfüllen. 

Bevor wir uns der Frage widmen, wie KI die Ressourcenrückgewinnung verändert, empfiehlt es sich, ein gängiges Missverständnis aufzuklären: KI ist nicht das neueste Modewort, sondern steht seit jeher im Mittelpunkt unserer Branche. Unsere Forschungs- und Entwicklungsteams entwickeln seit Jahren KI-gestützte Sortierlösungen. Bereits unsere ersten TOMRA-Maschinen vor 30 Jahren waren in der Lage, Entscheidungen darüber zu treffen, welches Material in welchen Container sortiert wird. Und diese Fähigkeit, Entscheidungen wie ein Mensch zu treffen, ist die ureigene Definition von KI.    



Wenn wir im Jahr 2024 darüber sprechen, meinen wir die neuesten Entwicklungen im Bereich des Deep Learnings. Das ist eine Unterkategorie des maschinellen Lernens, die erst durch die Weiterentwicklung der Rechenleistung im letzten Jahrzehnt ihren Einzug in unsere Industrie gefunden hat. 

​​Wie also verändert Deep Learning die Ressourcenrückgewinnung, wie wir sie heute kennen?  

1.  Deep Learning sorgt für mehr Flexibilität. Mit der sich ständig wandelnden Abfallzusammensetzung braucht es Sortiersysteme, die sich agil an neue Marktanforderungen anpassen. Anstatt Hardware-Komponenten oder gar Maschinen auszutauschen, können moderne Deep Learning-Technologien mit regelmäßigen Software-Updates nachgerüstet werden, sobald sie von unseren Experten trainiert wurden. Damit können wir schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren.   

Die Sortierung selbst wird sich erheblich verbessern. Herkömmliche Sortiersysteme haben bereits einen bemerkenswerten Grad an Genauigkeit und Effektivität erreicht, etwa beim Trennen von ein- und mehrschichtigen PET-Schalen. Kombinieren wir die bestehenden Systeme, die sich zum Beispiel auf Nahinfrarot- oder VIS-Sensoren stützen, mit Deep Learning-Technologien, wie es bei unserem AUTOSORT™ mit GAINnext™ der Fall ist, erreichen wir die aktuell höchste Sortiergranularität. Damit können wir etwa nach Materialart und Farbe und jetzt neu dank Deep Learning auch nach Form, Größe, Abmessungen oder anderen Details sortieren. So lassen sich bislang unmögliche Aufgaben lösen, wie die Sortierung von lebensmitteltauglichem vs. nicht lebensmitteltauglichem PET, PP und HDPE. Das ist ein Meilenstein für unsere Industrie, zumal wir mit GAINnext™ die für die Lebensmittelsicherheit in Europa erforderlichen Reinheitsgrade von über 95 Prozent erreichen.  
  

3.  Deep Learning wird die Automatisierung von Anlagen weiter voranbringen. Der Wert von Deep Learning liegt in der Objekterkennung mit Hilfe von Vollfarbkameras. 

Dr. Volker Rehrmann, EVP and Head of TOMRA Recycling 
 In anderen Worten: GAINnext™ sieht, was das menschliche Auge sehen kann. Dadurch können wir Sortieraufgaben automatisieren, die bisher manuell durchgeführt werden mussten, und so größere Mengen an recycelbaren Materialien schnell und effizient verarbeiten. 

​4.  Nicht zuletzt können wir mit Hilfe von Daten einen großen Schritt in Richtung Prozessoptimierung machen. KI-gestützte Sortiersysteme generieren riesige Mengen an Daten über die Materialzusammensetzung, Sortiereffizienz und Anlagenleistung. Durch die Analyse dieser Daten können Betreiber Optimierungsmöglichkeiten erkennen und entsprechend handeln. Aber die Möglichkeiten gehen über die Sortiersysteme hinaus. Auf Deep Learning basierende Kameras können an Schlüsselpunkten im Sortierprozess angebracht werden, um den gesamten Prozess und Materialfluss im Blick zu behalten. So können Anlagenbetreiber die Qualität der sortierten Ströme und den Materialverlust kontinuierlich überwachen und sogar sicherstellen, dass die Vorschriften für das Recycling von Lebensmitteln eingehalten werden. 
AUTOSORT™ mit GAINnext™
Unsere Branche befindet sich also an einem spannenden Wendepunkt. Wir sind überzeugt, dass der Einsatz von KI die Kreislaufwirtschaft zu einem Zeitpunkt vorantreiben wird, an dem sie am dringendsten benötigt wird – Gesetzesvorschriften verschärfen sich und die Kundennachfrage nach technologisch fortschrittlichen Lösungen steigt. Zugleich ist es an der Zeit, dass neue Märkte mit höherwertigen Produkten entstehen und unserer Industrie weiter Aufschwung verleihen. Wir bei TOMRA freuen uns, Teil der KI-Revolution zu sein! 

Was ist Deep Learning? 

Deep Learning ist ein Teilbereich der KI. Es imitiert die Art und Weise, wie das menschliche Gehirn Informationen verarbeitet. Dabei handelt es um eine spezielle Technik innerhalb des maschinellen Lernens, bei der künstliche neuronale Netze eingesetzt werden, die auf riesigen Datenmengen trainiert werden, so dass sie bestimmte Muster erkennen, speichern und diese später auf neue Daten anwenden. TOMRAs KI-Experten speisen Tausende bis Millionen von Bildern als Trainingsmaterial in das Netzwerk ein, bis es lernt, bestimmte optische Merkmale von Materialtypen wie spezifische Flaschenverschlüsse oder Verpackungsformen zu unterscheiden. So kann Deep Learning einige der komplexesten Sortieraufgaben lösen, wenn es mit bestehenden Sensoren kombiniert wird. 
Der Fachartikel wurde im August 2024 im Kunststoff Magazin veröffentlicht. ​