Überwindung des Engpasses bei Kunststoffrezyklaten
Nachfrage vs. Rezyklatverfügbarkeit
Im Jahr 2020 belief sich die weltweite Kunststoffproduktion auf 367 Millionen Tonnen. Europa produzierte 55 Mio. Tonnen Kunststoff, wobei 70 % der gesamten Marktnachfrage aus den größten Ländern der EU stammte, die 40,5 % des Materials für die Verpackungsproduktion verwendeten. In dem Bestreben, eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe zu schaffen, sollte der Anteil von Primärkunststoffen in der Herstellung reduziert und durch Sekundärrohstoffe ersetzt werden. Das ist jedoch leichter gesagt als getan.
Dies erweist sich nicht nur als eine wirtschaftlich machbare und praktische Alternative zu Primärmaterialien, sondern bietet Recyclern und MRFs auch die Möglichkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen. Selbst bei stark verunreinigten Kunststoffabfällen, wie z. B. kommunalen Feststoffabfällen, ist es jetzt möglich, hochwertiges Ausgangsmaterial zu gewinnen, das zur Herstellung neuer Produkte verwendet werden kann.
Nach Voraussagen von S&P Global Platts Analytics werden bis zum Jahr 2030 mehr als 1,7 Millionen Tonnen neuer Polymere durch mechanisch recycelte Kunststoffe ersetzt werden – im Vergleich zu 688.000 Tonnen im Jahr 2020. Bis heute hat nur ein winziger Teil der Rezyklate seinen Weg in den Produktionsprozess für neue Materialien gefunden. Die meisten Rezyklate werden für minderwertige Anwendungen verwendet. Wie können also Branchen wie die Automobilindustrie, die Lebensmittel- und Getränkeindustrie und die Kosmetikindustrie eine zuverlässige Versorgung mit hochwertigem recycelten Ausgangsmaterial sicherstellen? Die Überwindung der Materialknappheit beginnt mit der effektiven Sammlung von Wertstoffen.
Neue Entwicklungen in der Gesetzgebung
Um eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe und eine langfristige Versorgung mit Kunststoffrezyklaten zu ermöglichen und die Abhängigkeit von Primärmaterial zu reduzieren, ist ein einheitlicher Ansatz erforderlich.
Viele Länder ziehen beispielsweise die Einführung von Systemen der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) in Betracht oder haben diese bereits eingeführt. Mit diesen Systemen wird den Herstellern eine erhebliche Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus des Produkts übertragen– von Produktdesign bis zur Postconsumer-Phase des Produktlebenszyklus.
Diese Maßnahmen bieten den Herstellern Anreize, bei der Herstellung von Verpackungen Umweltfaktoren zu berücksichtigen und somit zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Produkte beizutragen. Der Gesetzgeber spielt eine grundlegende Rolle bei der Förderung von Investitionen in die Infrastruktur, einschließlich der effektiven Sammlung, Sortierung und des Recyclings von Kunststoffabfällen. Richtlinien für Kunststoffe und verbindliche Zielvorgaben für den Recyclinganteil können den richtigen Rahmen schaffen, um die Kreislaufwirtschaft zu priorisieren und den Engpass bei der Rückgewinnung von Ausgangsmaterial zu überwinden.
Verbindliche Rahmenbedingungen sind ein wichtiger und notwendiger Eingriff in den Markt. Sie unterstützen eine nachhaltige Abfallwirtschaft und veranlassen die Industrie, den Einsatz von Rezyklaten zu erhöhen und gleichzeitig die Nachfrage und Investitionen in die Infrastruktur sicherzustellen.
Die Richtlinie über Kunststoffverpackungen und Verpackungsabfälle, die 1994 von der Europäischen Union eingeführt wurde, gehört zu den Rechtsvorschriften, die Ziele für den Recyclinganteil festlegen und Endmärkte für Sekundärrohstoffe schaffen. Die Richtlinie schreibt den Verpackungsherstellern vor, bei der Herstellung neuer Kunststoffverpackungen bis 2025 mindestens 50 % und bis 2030 mehr als 55 % Recyclinganteile zu verwenden.
Im Jahr 2021 führte die EU eine Richtlinie für Einwegplastik ein, die bis 2025 einen Mindestanteil von 25 % Recyclinganteil bei PET-Flaschen und ein Ziel von 77 % für die getrennte Sammlung vorschreibt. Länder mit Pfand- und Rücknahmesystemen sind ein gutes Beispiel dafür: Deutschland erreicht eine Sammelquote von 98 % für PET und die Niederlande liegen mit 95 % dicht dahinter.
Wenngleich wir uns auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft befinden, haben wir doch noch einen langen Weg vor uns. Nach Angaben von Zero Waste Europe enthalten neue Flaschen im Durchschnitt nur 17 % recyceltes PET (rPET).
Unterdessen werden 69 % der anderen PET-Produkte aus rPET welches ursprünglich aus Getränkeflaschen stammt hergestellt. In Anbetracht dessen tritt das recycelte PET aus dem angestrebten Bottle-to-Bottle-Recyclingkreislauf heraus und wird für die Produktion anderer Kunststoffprodukte eingesetzt. Idealerweise sollten Kunststoffe jedoch mehrfach in der gleichen Anwendung recycelt werden, um eine ausreichende Versorgung der Produktion so lange wie wirtschaftlich machbar sicherzustellen.
Die Richtlinien sind ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, allerdings gibt es noch Verbesserungspotenzial. So gibt es zum Beispiel kaum Rechtsvorschriften, die die Verwendung von aus Post-Consumer Recyclingmaterialien (PCR) vorschreiben, der die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen könnte. In den USA ist der Bundesstaat Kalifornien führend bei den ehrgeizigen PCR-Zielen für Getränkeflaschen. Die vor kurzem erlassenen kalifornischen Gesetze (California Recycled Content Laws) legen die PCR-Ziele auf 15 % bis 2022, 25 % bis 2025 und 50 % bis 2030 fest.
Modernes mechanisches Recycling und Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskett
Um die Nutzung von Recyclinganteilen zu erhöhen, muss die gesamte Branche aktiv werden, recyclebare Verpackungen entwickeln und die Versorgung mit hochwertigen Rezyklaten sowohl mit neuen als auch mit bestehenden Mechanismen verbessern. Die Umsetzung des Ansatzes der ganzheitlichen Ressourcensysteme in der Abfallwirtschaft kombiniert Pfand- und Rücknahmesysteme, die getrennte Sammlung für ausgewählte Materialströme und die Restabfallsortierung, um die Rückgewinnung von Kunststoffen für fortschrittliches mechanisches Recycling zu ermöglichen.Neben den speziellen Sammelströmen liefert auch die Restabfallsortierung nachweislich hochwertige Kunststoffe für das Recycling. Eine Fallstudie bei AVR, einer Restabfallsortieranlage in den Niederlanden, hat gezeigt, dass die Restabfallsortierung mit leistungsstarken Sortiertechnologien 12-mal mehr Kunststoffe zurückgewinnen und damit gleichzeitig die CO2-Emissionen senken kann.
Andere Sortieranlagen, wie die norwegischen Unternehmen IVAR IKS oder ROAF, zeigen ebenfalls das enorme Potenzial, das die Restabfallsortierung bietet, wenn Kommunen und Unternehmen in fortschrittliche Technologien und Prozesse investieren.
Recycler und Betreiber von Sortieranlagen stehen heute vor der Aufgabe, verunreinigte Abfälle so weit zu reinigen, dass sie für die Weiterverarbeitung oder den lokalen Handel geeignet sind. Gleichzeitig verlangen Markeninhaber und Verarbeiter, die PCR kaufen, hochreine Monofraktionen, die nach Polymertyp und Farben sortiert sind. Durch den Einsatz einer neuen sensorbasierten Sortiertechnologie können die Anlagenbetreiber hochwertige Kunststoffe aus Abfallströmen effektiv sortieren und reinigen, um den Markt mit PET- oder PO-Fraktionen zu versorgen. Um wertvollere Produkte herzustellen, ist eine Kombination aus Vorsortierung und Flakesortierung erforderlich. Zunächst trennen Nahinfrarot-(NIR)-Sortierer die gewünschten Kunststoffe von Verunreinigungen wie unerwünschten Polymeren und Fremdkörpern. Die gereinigten Kunststoffe werden dann zerkleinert, gewaschen und getrocknet.
Die entstandenen Kunststoff-Flakes werden anschließend in einem zweiten Schritt mit einem hochpräzisen System zur Flakesortierung verarbeitet, mit dem Flakes bis zu einer Größe von nur 2 mm sortieren werden können. Mit diesen ultraflexiblen Systemen können Betreiber festlegen, ob sie Materialien nach Polymertyp und/oder Farbe sortieren möchten, und so Produkte schaffen, die selbst den anspruchsvollsten Anforderungen gerecht werden.
Mit der einzigartigen Technologie dieser Systeme kann eine breite Palette von Farben sortiert werden, einschließlich der stark nachgefragten natürlichen, klaren und hellblauen Flakes sowie aller hellen Farben, wobei eine maximale Reinheit der Polymere sichergestellt wird. Auf diese Weise erhalten die Betreiber die Möglichkeit, den Verschmutzungsgrad zu minimieren und die Industrie mit hochwertigen Materialien zu versorgen, die zu neuwertigen Rezyklaten verarbeitet werden können.
Während die meisten Recycler Kunststoffe aus einzelnen Materialströmen mit geringerem Verunreinigungsgrad bevorzugen, können weitaus mehr Materialien zur Befriedigung der Nachfrage zurückgewonnen werden, wenn selbst stärker kontaminierte Abfallströme aufbereitet und recycelbare Materialien in reinen Fraktionen zurückgewonnen werden. Verpackungsabfälle von Verbrauchern stellen zum Beispiel eine hervorragende Quelle für recycelbare Polymere dar und sind in großen Mengen verfügbar.
Obwohl sie im Vergleich zu Postindustrial-Kunststoffabfällen stärker verunreinigt sind, können hochentwickelte Sortiersysteme die Materialien durch den Einsatz fortschrittlicher mechanischer Recyclingprozesse automatisch zurückgewinnen und säubern. Auch dadurch ließe sich das Angebot an PCR-Material auf dem Markt erhöhen.
Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum erfolgreichen Recycling von Kunststoffen. Die Verbesserung der Recyclingfähigkeit und die Erhöhung des Recyclinganteils setzen voraus, dass die Industrie schon in der Designphase der Produkte die Notwendigkeit eines qualitativ hochwertigen Recyclings berücksichtigt. Markeninhaber haben einen Anreiz, „Design-for-Recycling“ umzusetzen, um den Sortierprozess zu erleichtern. Je komplexer und bunter das Design eines Produkts ist, desto schwieriger lässt es sich sortieren und recyceln. Um die Ressourcenrückgewinnung zu maximieren, müssen also Produktdesign, Sortiertechnologie und der gesamte Prozess aufeinander abgestimmt sein. Da alle Verfahren, vom Produktdesign bis zum End-of-Life-Management, Hand in Hand gehen, ist es offensichtlich, dass der Wandel nicht von einem einzelnen Beteiligten an der Wertschöpfungskette ausgehen kann. Um die Branche zu modernisieren und umzugestalten, müssen alle Stakeholder ihren Teil dazu beitragen.
Vorteile
Die Recyclingbranche bietet ein enormes Potenzial, doch die begrenzte Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Rezyklaten und fehlende finanzielle Anreize hemmen ihre Entwicklung. Die Gesetzgebung und das wachsende Bewusstsein der Verbraucher lassen erkennen, dass es an der Zeit ist, Abfälle zu reduzieren und dem Recycling eine höhere Priorität einzuräumen. Hocheffiziente Sortierverfahren, die es MRFs und Recyclern ermöglichen, selbst aus den am stärksten verunreinigten Abfallströmen hochreine Monofraktionen zu gewinnen, stellen eine langfristige Versorgung mit Recyclinganteilen sicher. Als Teil des Konzepts für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen eröffnet die Fähigkeit, neuwertigen Recyclinganteil zu erzeugen, neue Einnahmequellen für Sortieranlagen und Recycler und stärkt gleichzeitig den lokalen Handel. Darüber hinaus bietet der Einsatz sensorbasierter Sortiertechnologien wirtschaftliche Vorteile für die gesamte Kunststoff-Wertschöpfungskette.
Autor: Alberto Piovesan, Segment Manager Plastics bei TOMRA Recycling